„Wichtig ist, dass es meinen Kindern gut geht“

Vormittags geht sie putzen, nachmittags macht sie Hausaufgaben mit ihren Kindern. Faiza Cadey aus Somalia ist nur eins wichtig: dass ihre Söhne in Sicherheit aufwachsen.
Während ihre beiden Söhne in der Schule sind, putzt Faiza Cadey in einer Rehaklinik in Bad Schwalbach. Sobald sie von der Arbeit nach Hause kommt, stürmen auch direkt die zwei Jungs zur Haustür herein, stellen ihre Schulranzen im Flur ab und verschwinden im Kinderzimmer. Wenig später hüpft der Achtjährige ins Wohnzimmer, kuschelt sich zu seiner Mutter aufs Sofa, umschlingt sie von hinten mit den Armen und drückt sein Gesicht an ihre Wange. „Mama, wann kommst du?“ Und ist sofort wieder weg. Zwei Minuten später steckt er seinen Kopf nochmal zur Tür herein: „Mama, hast du noch mehr Waffeln gekauft?“ Faiza Cadey lacht. Die Kinder sind ihr ein und alles. „Ich konzentriere mich voll und ganz auf sie.“
Nachmittags kümmert sich die 35-Jährige darum, dass ihre Söhne die Hausaufgaben machen, hilft ihnen so gut es geht und lernt mit ihnen für Arbeiten. „Wichtig ist, dass sie ihre Noten halten“, betont die Mutter. Vor allem der Elfjährige. Er geht in die sechste Klasse der Realschule. „Und wir wollen auf keinen Fall, dass er auf die Hauptschule muss.“ Die Bildung ihrer Kinder liegt ihr sehr am Herzen. Sie selbst durfte als Mädchen in ihrem Heimatdorf in Somalia nicht zur Schule gehen, hat erst in Deutschland Lesen und Schreiben gelernt.
Als Kind musste sie arbeiten und konnte nicht zur Schule gehen
Zusammen mit sieben Schwestern und sechs Brüdern musste Faiza Cadey als Kind auf dem Bauernhof mithelfen, sich um Kamele, Schafe und Kühe kümmern. Zur nächsten Schule hätten sie stundenlang laufen müssen, berichtet sie. Die Sorge der Familien sei groß, dass die Töchter auf dem Weg vergewaltigt werden. „Deshalb haben viele Mädchen in Somalia nicht so ein Glück.“ Mit 16 Jahren zog Faiza Cadey in die Stadt, nach Mogadischu, jobbte in einem Restaurant und teilte sich mit sieben anderen Mädchen ein Zimmer. Dann heiratete sie einen Nachbarn. Als Journalist fürchtete er jedoch um seine Sicherheit und wollte Somalia verlassen. Er flüchtete nach Italien. Seine Frau folgte ihm.
„Ich wollte ohne Angst leben. Einfach leben.“
Mit einer Gruppe machte sich Faiza Cadey auf den Weg, über Sudan und Libyen bis zum Mittelmeer. „Natürlich wusste ich, dass die Reise sehr gefährlich ist“, sagt sie. Immer wieder werden Menschen auf der Flucht ausgeraubt, misshandelt, getötet oder verdursten in der Wüste. „Doch noch größer war meine Angst, in Somalia zu bleiben.“ Das Land sei für Frauen kein sicherer Ort. „Ständig passieren schlimme Sachen.“ Immer wieder komme es vor, dass Mädchen im Alter von acht, neun Jahren an ältere Männer zwangsverheiratet würden. Auch sexuelle Gewalt sei an der Tagesordnung. „Ich wollte ohne Angst leben. Einfach leben.“
Der Glaube halft bei der Flucht
In einem Schlauchboot ging es übers Meer nach Italien. Die junge Frau kann nicht schwimmen, hatte große Angst. Der Glaube an Gott habe ihr geholfen, sagt Faiza Cadey, „dass alles gut wird.“ In Italien kam sie zusammen mit ihrem Mann in einem Flüchtlingsheim in einer Militärkaserne unter. Nach sechs Monaten mussten sie die Unterkunft verlassen. Wohin? Faiza Cadey war schwanger. „Wir kannten niemanden, hatten keine Arbeit und keine Wohnung.“ In Magdeburg lebte ein großer Bruder von ihr. „Und ich wusste, dass man in Deutschland arbeiten kann.“ Also reisten sie mit dem Flixbus nach Gießen. Aus der Erstaufnahmeeinrichtung wurden sie zunächst nach Niedernhausen im Taunus geschickt, dann ein paar Kilometer weiter nach Bad Schwalbach. Dort wurde ihnen eine Wohnung in einer Flüchtlingsunterkunft zugewiesen. Kurz darauf kam ihr Sohn zur Welt.
Ihr Antrag auf Asyl wurde abgelehnt. Faiza Cadey nahm einen Rechtsanwalt und klagte gegen den Bescheid. Doch ohne Erfolg. Die Anwaltsrechnung stotterte sie in Raten ab, 50 Euro im Monat, sieben Jahre lang. Ihr Mann arbeitete im Lager einer Molkerei, packte Kartons.

Kein Recht auf einen Deutschkurs
Kein Asyl heißt: Faiza Cadey durfte sich nicht zum Deutschkurs anmelden, keine private Wohnung suchen. Zum Glück habe es bei der Diakonie nette Menschen gegeben, betont sie. Als ihr Sohn mit einem Jahr in die Krippe kam, stand die junge Mutter dort jeden Morgen um 8 Uhr auf der Matte. „Die Leute waren sehr lieb.“ Sie brachten ihr das Alphabet bei, lesen und schreiben – ehrenamtlich. Bei der Flüchtlingshilfe der Diakonie lernte Faiza Cadey auch eine deutsche Freundin kennen: Carina, eine Lehrerin aus dem Nachbarort. Als sie mit ihrem zweiten Sohn schwanger war, begleitete Carina sie zum Frauenarzt – und war auch bei der Geburt im Krankenhaus dabei. Das Baby kam per Kaiserschnitt zur Welt. „Wenn du fremd in einem Land bist“, sagt Faiza Cadey, „bist du so froh, wenn du bei der Operation jemanden dabei hast, dem du vertraust.“ Bis heute treffen sich die Frauen regelmäßig auf einen Tee, ab und zu geht Carina mit den Jungs auf den Spielplatz. „Sie hat mir sehr geholfen.“
Faiza Cadey und ihr Mann ließen sich scheiden, sie blieb alleine mit den Kindern in Bad Schwalbach. Vor fünf Jahren erhielt sie endlich eine Aufenthaltsgenehmigung. Die Mutter von zwei Kindern war so erleichtert. Über eine somalische Bekannte konnte sie als Nachmieterin eine Wohnung inklusive Möbeln übernehmen. Außerdem konnte sie sich jetzt zum Deutschkurs bei der Volkshochschule anmelden und ihre B1-Prüfung ablegen. Auf ihrem Handy zeigt Faiza Cadey ein Foto vom Zertifikat. Immer wieder würden die Jungs den Kopf schütteln und lachen, wenn sie mit der Grammatik einen Fehler macht. Beide Kinder sprechen perfekt Deutsch. Wenn ihre Mutter auf Somali etwas fragt, antworten sie auf Deutsch.
Qualifizierung zur Betreuungskraft im Pflegeheim
Das Jobcenter vermittelte ihr eine Qualifizierung als Betreuungskraft in einem Pflegeheim, direkt um die Ecke von ihrer Wohnung. Faiza Cadey zückt wieder ihr Smartphone, scrollt und tippt stolz auf das Foto vom Zeugnis. Sie würde dort sehr gerne arbeiten. „Aber jetzt kann ich nicht“, sagt sie. In dem Pflegeheim wird in zwei Schichten gearbeitet gearbeitet, früh ab 6 Uhr und spät, geht beides nicht. „Ich bin Mutter von zwei Kindern.“ Deshalb jobbt sie als Putzfrau in einer Rehaklinik, reinigt die Zimmer, bezieht Betten und macht die Wäsche. Von 8 bis 13.30 Uhr. Viel Geld verdient sie nicht. „Aber ich komme klar.“ Länger will sie nicht arbeiten, weil die Kinder mittags aus der Schule kommen. Doch fest steht für sie auch: „Ich will nicht zu Hause sitzen. Ich will etwas machen.“ Und wenn sie etwas spart, kann sie im nächsten Monat auch mal neue Sportschuhe für die Kinder bezahlen.
„Ich will auch helfen“
Jeden Mittwoch arbeitet sie ehrenamtlich als Übersetzerin bei der Diakonie, um Frauen aus Somalia zu unterstützen. „Sie sind oft mit ihren Kindern alleine.“ Und hätten oft Probleme mit Behörden. „Ich will auch helfen“, erklärt die Mutter von zwei Kindern. „So viele Menschen haben mir geholfen.“ Leider muss sie sich auch hin und wieder böse Kommentare anhören, wird von Busfahrern beschimpft, wegen ihrer Hautfarbe und ihrem Kopftuch. Auch ihre Kinder wurden in der Schule schon beleidigt. „Jetzt wissen beide, was Rassismus ist.“ Aber viel lieber will sie sich auf das Positive konzentrieren, betont Faiza Cadey. „Wir sind in Sicherheit.“ Sie hätten ein Dach über den Kopf, ihre Söhne könnten zum Arzt gehen, wenn sie krank sind, und die Schule besuchen. „Wichtig ist, dass es meinen Kindern gut geht.“
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