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„Ich will etwas zurückgeben“

Kathrin Hedtke2015 kam Basayev Danka nach Deutschland. Im Fußballverein FC Ente Bagdad wurden die Mannschaftskollegen zu Freunden.

Mit seiner Familie flüchtete er nach Mainz, doch seine Eltern gingen zurück nach Syrien. Basayev Danka blieb alleine hier. Halt gab ihm der Fußballverein.

Nach der Arbeit geht es direkt zum Fuß­ballplatz in Mainz-Bretzenheim. „Hier bin ich wirklich sehr glücklich“, sagt Basayev Danka, 25. „Es geht nicht nur um Fußball, sondern um so viel mehr.“ Als es ihm richtig schlecht ging und er schlagartig ohne seine Familie ganz alleine in einem fremden Land klar­kommen musste, war der Verein für ihn da. „Ich will etwas zurückgeben.“ Zweimal pro Woche trainiert er die Teenager der A-Jugend. Plus Spiele am Wochenende. Kurz vor dem Training kommen drei Jungs auf den Sport­platz geschlendert, stellen ihre Rucksäcke ab. Als sie Basayev Danka neben dem Spielfeld entdecken, lächeln sie breit, legen ihre Hand aufs Herz und nicken ihm herzlich zu.

„Ich sehe mich in den Jungs“, sagt Basayev Danka. Die drei Jugendlichen zum Beispiel kommen aus der Türkei, aus dem Sudan und aus Ägypten. So wie er damals sind sie neu in Deutschland, sie müssen erst mühsam die Sprache lernen und ihren Weg finden. „Wenn ich sehe, wie die Jungs hier Spaß haben, zu­sammen lachen, das ist wirklich schön.“

Basayev Danka war zwölf Jahre alt, als sein Vater beschloss, dass es für die Familie in ihrer Heimatstadt in Al-Hasaka im Norden von Syrien zu gefährlich wurde. Die Angst war groß, dass der ältere Bruder sonst auch zum Militär eingezogen wird und in den Krieg ziehen muss. Also machten sie sich auf den Weg. „Ich wünschte, ich könnte die Zeit vergessen.“ Die Eltern flohen mit ihren vier Kindern zuerst in die Türkei. Verwandte be­sorgten ihnen eine Wohnung. Basayev Dan­ka durfte nicht zur Schule gehen, sondern musste arbeiten. „Sonst hätte das Geld nicht für Miete und Essen gereicht.“ Der Junge jobbte in einer Bäckerei, einem Dönerladen, einem Supermarkt, wurde sehr schlecht be­handelt, von einem Chef sogar geschlagen.

Nach vier harten Jahren in der Türkei setz­te die Familie ihre Flucht fort. „Wir wollten irgendwohin, wo es sicher ist.“ Die Wahl fiel auf Schweden, dort wohnte bereits ein Cousin des Vaters. Also stiegen die Eltern 2016 mit ihren Kindern mitten in der Nacht in Izmir auf ein Boot, ihr Ziel: Europa. Sie wussten, wie gefährlich die Fahrt übers Mit­telmeer ist, sagt Basayev Danka. „Jeden Tag hörten wir von Bootsunglücken.“ Der Junge sah auf dem Boot die Angst in den Augen der Mutter. „Das war schrecklich.“ Zum Glück erreichten sie in der Dunkelheit drei Stunden später eine griechische Insel. Von dort ging es weiter, zu Fuß oder mit dem Bus, über die Balkanroute, über Mazedonien, Albanien, Montenegro, Serbien, Kroatien, Slowenien und Österreich. Weil die Mutter ohne Pass nicht nach Schweden weiterreisen durfte, blieb die Familie in Deutschland. Zunächst lebten sie in einer Flüchtlingsunterkunft in Koblenz, wurden nach drei Monaten nach Budenheim verwiesen, eine kleine Stadt in der Nähe von Mainz.

Alleine in einem fremden Land

Dort konnte Basayev Danka wieder zur Schule gehen. „Endlich“, sagt er. „Nach vier Jahren.“ In der Schule sei er sehr zufrieden gewesen, habe schnell Freunde gefunden. In erster Linie besuchte er einen Deutschkurs, nahm nur die letzte Stunde am regulären Unterricht der Klasse teil. Deshalb musste er die neunte Klasse einmal wiederholen. Nach einem Jahr teilten ihm seine Eltern mit, dass sie nicht in Deutschland bleiben wollten. „Das war ein Schock“, betont Basayev Danka. Der Vater tat sich schwer damit, die neue Sprache zu lernen, ihm fehlten Freunde und Verwandte, und die Mutter vermisste ihre Eltern. Also beschlossen sie, trotz der Le­bensgefahr zurückzugehen, zunächst in die Türkei, danach nach Syrien.

Der große Bruder lebte längst alleine in einer Wohnung, die beiden Mädchen wollten bei den Eltern bleiben. Also stand Basayev Danka mit 17 Jahren vor der Entscheidung: mitgehen oder bleiben? „Alleine in einem fremden Land, mit einer fremden Sprache.“

Noch nie sei er vorher von seiner Familie getrennt gewesen. Trotzdem war für ihn direkt klar, dass er nicht im Krieg kämp­fen wollte. „Hier ist meine Zu­kunft.“ Um kein Risiko einzugehen, beschlossen die Eltern, vorher nie­mand etwas von ihren Plänen zu erzählen und die Behörden nicht zu in­formieren. So blieb Basayev Danka eines Nachts alleine in der Wohnung zurück. „Es war sehr, sehr traurig.“ Am nächsten Tag ging er zu seinem Deutschlehrer – „Herr Drews, ich weiß seinen Namen heute noch“ – und sagte zu ihm: „Meine Familie ist nicht mehr da. Was soll ich jetzt machen?“ Der Lehrer informierte sofort das Jugendamt. „Ich bin ihm immer noch dankbar.“

Der Junge kam in eine Wohngruppe in Mainz, mit eigenem Zimmer. „Das war ok.“ Viele Jugendliche in seiner Gruppe hätten Alkohol getrunken und Drogen genommen, doch Basayev Danka hielt sich davon fern. Was ihm in dieser Zeit geholfen hat? „Der Fußballverein!“ Eigentlich sei er Boxer. Doch um sich von seinem Kummer abzulenken, begleitete er einen Freund zum Fußball und guckte nur zu. Der junge Mann lacht und winkt einem Mann auf dem Sportplatz zu: „Das ist Michael, mein Trainer damals. Er sagte zu mir: Ab nächster Woche trainierst du mit.“ Schnell wurden die Jungs in der Mannschaft des Hobbyvereins FC Ente Bag­dad zu Freunden, sie saßen nach dem Trai­ning noch zusammen und aßen gemeinsam. Viele von ihnen waren nach Deutschland ge­flüchtet, sie kamen aus Syrien, Afghanistan und Somalia. „Irgendwie habe ich mich hier gefunden.“ Im Verein hätten ihn alle sehr unterstützt, vor allem Ronald vom Vereins­vorstand und dessen Frau Rita. Sie hätten Briefe übersetzt, Formulare ausgefüllt und ihn zu Ämtern begleitet.

In Angst um die Familie

Als der Trainer aufhörte, machte Basayev Danka seine Trainerlizenz und übernahm die Mannschaft. Als die Jungs älter wurden und eine Ausbildung begannen, hörten viele mit dem Fußball auf. Basayev Danka kam weiter, sie trainierten zu dritt. Bis der Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine folgte. Plötzlich war der Fußballplatz wieder voll. Der Trainer zeigt auf die Kinder, die über den Kunstrasen flitzen. „Fast alle aus der Ukraine.“

Die Angst um seine Familie in Syrien setzte ihm sehr zu. Die Kämpfe erreichten auch seine Heimatstadt. Der Vater wollte das Haus nicht verlassen, die Mutter floh mit den Töchtern in eine andere Stadt. „Teil­weise gab es keinen Strom, kein Internet.“ Tagelang konnte er mitunter seine Eltern nicht erreichen. „Ich wusste nicht, ob sie noch leben.“ Eigentlich wollte Basayev Danka seinen Realschulabschluss machen. „Doch es ging mir wirklich gar nicht gut.“ Nachts konnte er nicht schlafen, meldete sich oft krank. Irgendwann habe er die zehnte Klasse abgebrochen. „Leider.“ Danach begann er eine Ausbildung als Arzthelfer in einer HNO-Praxis in Mainz, doch die Lehrerin in der Berufsschule habe ihnen das Leben schwer gemacht. „Leider habe ich die Ausbildung auch abgebrochen“, sagt Basayev Danka. Jetzt arbeitet er Vollzeit an der Rezeption in einem Hotel in Frankfurt und jobbt nebenbei weiterhin in der HNO-Praxis. Plus das Trai­ning mit den Jungs. Wann er Freizeit hat? Der junge Mann zeigt auf den Fußballplatz: „Das hier ist meine Freizeit!“

Warten auf die Einbürgerung

Seine Eltern hat er seitdem noch nicht wieder gesehen. Aber sie telefonieren und schreiben fast jeden Tag. „Es geht ihnen gut.“ Basayev Danka hofft, sie irgendwann besu­chen zu können. Aber erst will er seine Ein­bürgerung abwarten. Lange fehlte ihm noch ein syrischer Pass, mit viel Mühe konnte er einen Ersatz beantragen, seit einem halben Jahr hat er endlich alle Dokumente zu­sammen. „Jetzt warte ich seit November auf einen Termin. Auch wenn es hart war: Hierzubleiben, war die beste Entscheidung“, sagt Basayev Danka. „Ich bin hier aufgewachsen. Und wer weiß, ob ich sonst noch am Leben wäre.“

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