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„Werden sehr gebraucht“

W.Murr PhotofabrikProf. Dr. Yuliya Kosyakova

Geflüchtete Menschen haben es am Anfang oft schwer, Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fassen. Dabei ist der Wunsch ausgeprägt – und es lohnt sich für beide Seiten. Ein Interview mit Prof. Dr. Yuliya Kosyakova, Profes­sur für Migrationsforschung, Otto-Friedrich-Universität Bam­berg; Forschungsbereichsleiterin Migration, Integration und inter­nationale Arbeitsmarktforschung beim Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB).

Wie gut ist es gelungen, die Menschen, die 2015 nach Deutschland geflüchtet sind, in den Arbeitsmarkt zu integrieren?

Dazu ist wichtig zu betonen, dass diese Menschen nicht für Arbeitszwecke gekom­men sind – wir sprechen über humanitäre Migration. Menschen, die ihre Heimatländer aufgrund von Konflikten oder Verfolgung ver­lassen müssen, wissen häufig nicht, wo sie landen – und ihnen fehlt die Zeit, um zu­nächst die Sprache zu lernen, die Informatio­nen über die Arbeitsmärkte zu sammeln und soziale Kontakte zu knüpfen. Damit fehlten ihnen wichtige Ressourcen. Im Vergleich zu anderen Migrant*innen sind sie dadurch am Anfang benachteiligt. Hinzu kommen Fakto­ren wie gesundheitliche Beeinträchtigungen, traumatische Erfahrungen, abgebrochene Bildungsbiografien und zurückgelassene Familienmitglieder.

Wie leicht wurde ihnen vor Ort die Suche nach Arbeit gemacht?

Die Hürden sind insbesondere am Anfang hoch. Mindestens die ersten drei Monate besteht ein absolutes Beschäftigungsver­bot. Ob sie danach arbeiten dürfen, ist unter anderem davon abhängig, aus welchem Land sie stammen, wann sie gekommen sind und in welcher Kommune sie leben. Die Situation ist von Wohnort zu Wohnort sehr unterschiedlich. Deshalb ist es ein Roulette: Werden die Menschen einer guten Region zugewiesen? Wo es Sprachkurse gibt? Und Jobs? Mit sicherer Kinderbetreuung? Dann haben sie den Jackpot. Das ist jedoch häufig nicht der Fall.

Was erschwert den Start?

Ein großes Problem ist die unsichere Blei­beperspektive. Arbeitgeber werden abge­schreckt, wenn sie nicht wissen, ob und wie lange die Person überhaupt in Deutschland bleiben darf. Das gilt vor allem für qualifi­ziertes Fachpersonal. Hinzu kommt, dass die Menschen erst ihre Zeugnisse anerkennen lassen und Deutsch lernen müssen. Das kostet Geld und Zeit – ohne zu wissen, ob es sich lohnt. Das kann den Anreiz beeinträch­tigen, in Sprache, Bildung und Kontakte zu investieren.

Wie sah es konkret aus mit der Erwerbs­tätigkeit bei den Menschen, die 2015 gekommen sind?

Unsere repräsentative Befragung zeigt, dass die überwiegende Mehrheit arbeiten wollte. Aber es dauerte. Mit der Zeit kam die Inte­gration in den Arbeitsmarkt voran. Im ersten Jahr nach dem Zuzug waren rund 7 Prozent erwerbstätig, nach zwei Jahren arbeiteten 20 Prozent, nach fünf Jahren 45 Prozent, nach sieben Jahren 63 Prozent. Nach sie­ben Jahren kamen geflüchtete Männer im Schnitt auf eine Erwerbsquote ähnlich der männlichen Bevölkerung. Frauen lagen je­doch weit darunter.

Wie sehr würden wir spüren, wenn die Menschen wieder zurückgehen würden?

Mit Blick auf den gesamten Arbeitsmarkt wären die Konsequenzen eventuell zu ver­kraften. Aber lokal wären viele negative Konsequenzen zu spüren. Wenn der syrische Arzt weggeht, wäre es für die Menschen in der Region gravierend. Das gilt auch für Lieferdienste und Logistik. Generell arbeiten geflüchtete Menschen überproportional in systemrelevanten und Engpassberufen im Vergleich zu anderen Eingewanderten und insbesondere Deutschen. Diese Jobs sind häufig schlecht bezahlt und durch prekäre Arbeitsverhältnisse und Beschäftigungsbedi­ngungen charakterisiert.

Was hat 2015 gut geklappt?

Eine gute Sache war das sogenannte Cluste­ring von Asylverfahren. Dabei wurden An­träge mit positiver Bleiberechtsperspektive schneller bearbeitet. Allerdings ging die Beschleunigung leider auf Kosten von ande­ren Gruppen. Personen mit komplizierteren Verfahren mussten länger warten. Gut war auch, dass das Beschäftigungsverbot von zwölf auf drei Monate reduziert wurde. Am besten sollte es ganz abgeschafft werden.

Ihr Fazit?

Geflüchtete Menschen sind eine Bereicherung für uns. Sie bilden unsere Vielfalt ab und arbei­ten in Berufen, die wir sehr gut gebrauchen können. Es ist schade, dass sich der ganze Diskurs nur darum dreht, Grenzen zu schlie­ßen und Menschen abzuschieben. Statt mit Anekdoten die ganzen Erfahrungen nieder­zumachen, sollten wir lieber über Fakten und Erfolge reden.

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