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„Home sweet home“

Kathrin HedtkeAbdel aleem Alayobi und Nourah Dadosh im Garten ihres Hauses in Rödermark.

Hart dafür gearbeitet: Nourah Dadosh und Abdel aleem Alayobi aus Syrien sind mit ihren beiden Töchtern in Rödermark angekommen, mit Erfolg im Beruf und eigenem Haus.

Das kleine Reihenhaus der Familie befin­det sich in einer ruhigen Straße mit Einfami­lienhäusern in Rödermark, im Vorgarten blü­hen pinke Lilien, vor der Ligusterhecke steht ein Vogelhaus. „Unser Zuhause“, sagt Nourah Dadosh und strahlt. Ihre beiden Töchter, 16 und 17 Jahre alt, sind oben in ihren Zimmern. Ihr Mann Abdel aleem Alayobi parkt nach der Arbeit pünktlich sein Auto in der Garage, geht ein paar Schritte über den gepflegten Rasen und setzt sich auf die Terrasse. Auf dem Tisch stehen Limo, Cola, Saft und Kaffee bereit. „Wir sind sehr glücklich hier“, betont der Computerexperte. „Home sweet home!“ Vor zehn Jahren ist die Familie aus Syrien nach Deutschland geflüchtet.

Der Krieg in Syrien zerstörte das Familienglück

Kennengelernt hat sich das Ehepaar an der Uni in Homs, beide studierten Englisch. Sie heirateten, bekamen zwei Mädchen. Nourah Dadosh arbeitete als Lehrerin an einer Schule. Abdel aleem Alayobi wollte noch ein Studium mit dem Schwerpunkt auf Bankenwesen draufsetzen, wurde jedoch zur Armee verpflichtet. Kurz nach Ende seines Wehrdienstes ging der Krieg in Syrien los und der Familienvater wurde zurück zur Armee beordert. Abdel aleem Alayobi zahlte Be­stechungsgelder, um nicht eingezogen zu werden. „Ich möchte nicht gegen jemanden kämpfen“, betont er. „Ich möchte nur glück­lich mit meiner Familie leben.“ Als die Trup­pen von Assad ihre Heimatstadt zerstörten, drängte die Mutter ihren Sohn zur Flucht: „Sonst wirst du sterben oder ins Gefängnis kommen.“ Sein großer Bruder habe vorher bereits versucht, eine Reiseerlaubnis zu er­halten, und wurde ins Gefängnis geworfen und gefoltert. Davon zu erzählen, fällt Abdel aleem Alayobi schwer, er stockt, reibt sich über die Augen.

Der einzige Ausweg für den Vater: gefährliche Fluchtroute

Schnell stand fest, dass der Familienvater sich zunächst alleine auf die Flucht begibt. „Mit zwei Kinder in ein Schlauchboot?“ Bei dem Gedanken daran schüttelt Nourah Dadosh entschieden den Kopf. „Nein, kommt nicht in Frage.“ Als der Vater aufbrach, litten seine kleinen Töchter sehr, konnten kaum schlafen, fragten immerzu: „Wo ist Papa? Geht es ihm gut?“ Mit einem Kleinbus reiste Abdel aleem Alayobi zunächst in den Libanon, von dort ging es weiter in die Türkei. In Izmir zahlte er Schleppern viel Geld, damit sie ihn mit einem Jetboot auf die griechische Insel Kos bringen. Zu Fuß marschierte er mit anderen Flüchtlingen nach Mazedonien, 290 Kilome­ter weit, neun Tage und Nächte liefen sie vor allem durch Waldgebiete. Doch eines Nachts kreisten Hubschrauber über ihnen, Soldaten brachten sie zurück nach Griechenland. Dort besorgte sich Abdel aleem Alayobi falsche Reisepässe und schaffte es im zweiten Anlauf, mit dem Flugzeug nach Malmö in Schwe­den zu fliegen.

Lebensperspektive in Deutschland

Doch der Vater wollte weiter nach „Germany“, weil er sich vom Arbeits­markt bessere Perspektiven versprach. So landete Abdel aleem Alayobi in der Erstauf­nahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen. „Ich war sehr glücklich!“ Sofort fing er an, sich mit seinem Handy selbst Deutsch beizubringen: How to learn German! „Youtube hat mir viel geholfen.“ Wie lange die Flucht dauerte? Er überlegt. „Die Zeit hatte für mich kein Ende.“ Vier Monate, sagt seine Frau.

Kathrin HedtkeAbdel aleem Alayobi

Die Aufenthaltserlaubnis ermöglicht ein neues Leben 

Als er seine Aufenthaltserlaubnis in der Hand hielt, habe er geweint. Mit dem Bus ging es nach Oberroden in die Flüchtlings­unterkunft. „Dort standen Gummibärchen auf dem Tisch“, sagt Abdel aleem Alayobi und lächelt bei dem Gedanken daran übers ganze Gesicht. „Das werde ich nie vergessen, ehrlich. In anderen Ländern wurden wir ge­schlagen. Man denkt, diese Gummibärchen sind nichts, aber sie bedeuten alles. Sie sind der Schlüssel zum Erfolg.“ Von Anfang an stand ihm die Flüchtlingshilfe zur Seite. „Sie haben mir das Gefühl gegeben, willkommen zu sein.“

Brigitte Speidel-Frey, Brigitte Putz- Weller, Thomas Büttner und viele andere. Sie halfen, eine Wohnung in Rödermark zu finden, brachten Handtücher, Töpfe, Besteck. Immer wieder betont Abdel aleem Alayobi, wie viel ihm ihre Unterstützung bedeutete. Sie begleiteten ihn zur Ausländerbehörde, füllten mit ihm Anträge aus, halfen mit dem Visum für seine Frau und Kinder. Als die Ge­nehmigung kam, war Abdel aleem Alayobi überglücklich, aber sofort kam der Gedanke: „Wie soll ich drei Flugtickets bezahlen?“ Zum Glück war die Flüchtlingshilfe da. Sie buch­ten die Tickets, streckten das Geld vor. Jeden Monat zahlte der Vater 50 Euro zurück.

„You are welcome to our school!“

Fast eineinhalb Jahre nach seinem Ab­schied aus Syrien kam seine Familie nach. Als Lehrerin hatte die Mutter in der Zeit mit den Kindern bereits etwas Deutsch geübt. Samstag landete ihr Flugzeug, Dienstag meldete Nourah Dadosh ihre Töchter in der Grundschule an. Auf dem Schulhof sah sie, wie Kinder einen Jungen in ihre Richtung schubsten, dabei lachten. „Oh, jetzt wird es schlimm“, dachte sie – und wollte ihre Kindern schon erklären, dass sie da leider durch müssen, dass es bei ihrer Flucht um die Frage ging: leben oder sterben? Doch da sagte der Viertklässler in holprigem Englisch zu ihnen: „You are welcome to our school!“ Das werde sie nie vergessen, betont die 43-Jährige. „Da wusste ich, dass wir hier richtig sind.“ Die Mädchen kamen in die ers­te und zweite Klasse. Sie habe sich sofort wohlgefühlt, berichtet die 16-Jähri­ge. „Alle waren total nett.“ Die Mutter einer Mitschü­lerin schenkte ihr einen Schul­ranzen und ein Mäppchen, „richtig lieb“. Die Schwestern fan­den schnell Freu­dinnen.

Auf keinen Fall wollte der Vater, dass die Familie von Sozialhilfe leben muss. „Ich will für meine Familie sorgen.“ Zum Glück ver­mittelte ihm jemand ein Praktikum in einer IT-Firma. Nach den drei Monaten erhielt er bei dem globalen Swift-Zahlungsunterneh­men eine Festanstellung. Dabei kam ihm zugute, dass er sehr gut Englisch spricht. Zudem lernte Abdel aleem Alayobi fleißig deutsch, nach der Arbeit, am Wochenende. Und er nahm an einer Fortbildung teil, um eine Zertifizierung als Softwarespezialist zu erhalten. Rund 6.000 Seiten lernte er für die Prüfung; Tag und Nacht. „Meine Familie hat mich kaum noch gesehen“, berichtet er. Vor lauter Stress konnte er kaum noch atmen, wurde ins Krankenhaus eingeliefert – und lernte dort weiter. Im zweiten Anlauf schaffte er die Prüfung, hat jetzt als Spezialist eine gut bezahlte Stellung. „Man braucht das Ge­fühl, willkommen zu sein“, sagt Abdel aleem Alayobi. „Aber genauso wichtig ist, wie viel Mühe man sich auch selbst gibt.“

Kathrin HedtkeNourah Dadosh

Nourah Dadosh Traum: Lehrerin werden

Nourah Dadosh wollte gerne weiter als Lehrerin arbeiten, scheiterte aber an der Bürokratie. Sie berichtet kopfschüttelnd, dass sie dafür alle Dokumente von Englisch auf Deutsch hätte übersetzen lassen müssen. „Das hätte locker 10.000 Euro gekostet.“ Zum Glück sei diese Vorgabe jetzt geän­dert worden. Die Mutter arbeitete zunächst ehrenamtlich als Sprachlotsin, begleitete Familie zu Ämtern, Ärzten und Schulen. Jetzt ist sie als pädagogische Fachkraft angestellt. Doch sie träumt immer noch davon, Lehre­rin zu werden. „Das geht mir nicht aus dem Kopf.“ Weil sie dafür zwei Fächer braucht, will sie jetzt noch mal Ethik studieren. Auch für die beiden Töchter steht fest, dass sie Abitur machen und studieren.

Vor drei Jahren hat die Familie die deut­sche Staatsangehörigkeit erhalten – und ein Haus gekauft. Als Assad gestürzt wur­de, tanzten sie auf der Straße. „Ich konnte nur weinen“, sagt Abdel aleem Alayobi. Als seine Frau am nächsten Tag zur Arbeit kam, fragten ihre Kolleginnen: Willst du trotzdem bei uns bleiben? Und waren sehr glücklich, als Nourah Dadosh antwortete: „Ja, natürlich. Hier ist unser Zuhause. Wir sind wirklich angekommen.“

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