„Keine Angst mehr“

Das Kirchenasyl rettete ihn vor der Abschiebung. Nach Jahren voller Unsicherheit macht Moussa Mandou Cherif jetzt eine Ausbildung zum Krankenpfleger in Darmstadt .
Nach mehreren Tagen voll mit Diensten im Krankenhaus muss sich Moussa Mandou Cherif jetzt dringend an seine Hausarbeit setzen. „Ich habe gerade mit der Schule sehr viel zu tun“, sagt der 28-Jährige. Für ihn geht es mit der Ausbildung zum Gesundheits-und Krankenpfleger am Elisabethenstift in Darmstadt in den Endspurt: Der junge Mann aus Guinea in Westafrika ist im dritten Lehrjahr – und damit bald fertig. Weil Moussa Mandou Cherif erst neu Deutsch gelernt hat, muss er doppelt viel Einsatz bringen. Alle Fachbücher sind auf Deutsch, der Unterricht auch. Früher habe er ständig Wörter am Handy übersetzen müssen, berichtet er – und lacht. Aber jetzt nur noch ganz selten. „Jeden Tag wird es besser!“
Kurz nach seinem Abitur ist er Hals über Kopf aus seiner Heimatstadt in Guinea geflüchtet. Eigentlich wollte er Jura studieren. „Ich liebe alles, was mit Recht zu tun hat.“ Ganz oben steht für ihn: Demokratie. Und dass alle frei ihre Meinung äußern können. Doch genau deshalb kam er politisch in große Schwierigkeiten. „Ich sage, was ich denke“, sagt Moussa Mandou Cherif. „Egal, was es kostet.“ Weil er nicht über Unrecht schweigen wollte, geriet sein Leben in Gefahr, berichtet der junge Mann. Von jetzt auf gleich musste er seine Heimat verlassen, nur mit einem Rucksack, ohne einen Plan. „In so einer Situation bleibt einem keine Zeit, zu überlegen: Wo möchte ich hin? Wo gefällt es mir? Sondern es geht nur darum: schnell weg!“
„Es war die Hölle“
Über die Elfenbeinküste floh Moussa Mandou Cherif durch mehrere Länder bis nach Libyen. Die Route ist sehr gefährlich. „Ich habe schreckliche Dinge gesehen“, berichtet er. „Jemand ist gestorben.“ Mehr möchte er dazu nicht sagen, nur so viel: „Es war die Hölle.“ Sein Ziel war Europa. In der Schule habe er viel darüber gelernt. Er sei fasziniert von der Renaissance, sagt der 28-Jährige, von der Aufklärung, von Voltaire und Kant, von Freiheit, Frieden und Toleranz.
Mit dem Boot gelangte er von Libyen übers Mittelmeer bis nach Sizilien – und weiter in eine Flüchtlingsunterkunft auf dem Festland. Doch in Italien wurde sein Asyl abgelehnt. Also setzte sich Moussa Mandou Cherif in den Zug und versuchte, einfach weiterzufahren. Ohne Dokumente scheiterte er mehrmals an der Grenzkontrolle. „Ich habe es immer wieder probiert, probiert, probiert.“ Irgendwann schaffte er es bis nach Karlsruhe. Dort meldete er sich direkt bei der Polizei. In Deutschland, so wusste er, werden „Human Rights“ großgeschrieben.
Weiter ging es über Heidelberg nach Gießen, dort wurde er nach Büdingen verwiesen. In der Flüchtlingsunterkunft in der ehemaligen Kaserne hätten sie kaum Kontakt nach draußen gehabt, berichtet Moussa Mandou Cherif. Nach drei, vier Monaten stand die Polizei vor ihm: Der junge Mann musste Deutschland sofort verlassen. Da er in Italien zum ersten Mal europäischen Boden betreten hatte, musste er dorthin zurück. Die Polizei führte ihn in Handschellen ab und setzte ihn ins Flugzeug. Doch in Italien weigerte sich die Flüchtlingsunterkunft, ihn wieder aufzunehmen. Was tun? Ein paar Nächte schlief er auf der Straße. Dann entschied er, einen neuen Versuch zu wagen. Mit dem Zug gelangte er wieder nach Gießen, von dort nach Darmstadt.
Im Zentrum für Weiterbildung in Langen durfte er einen Deutschkurs für Anfänger besuchen, auf A1-Niveau. Mehr nicht. „A2 durften wir nicht, B1 auf keinen Fall“, sagt er. Auch arbeiten war verboten. „Wir durften nichts, nichts, nichts.“ So gerne hätte er irgendetwas getan. „Nur zu Hause zu sitzen ist eine Katastrophe.“ Schon bald bekam Moussa Mandou Cherif per Post mitgeteilt, dass er Deutschland unverzüglich verlassen muss.
„Die Ungewissheit war schrecklich. Immer in Sorge. Immer warten.“
Der junge Mann zeigte den „schrecklichen Brief“ seinem Lehrer vom Weiterbildungszentrum in Langen, der für ihn nur noch eine einzige Möglichkeit sah: Kirchenasyl. Der Lehrer stellte Kontakt mit der Evangelischen Kirchengemeinde in Neu-Isenburg her, die sich bereit erklärte, Moussa Mandou Cherif aufzunehmen. „Ich durfte meine Wohnung auf dem Gelände auf keinen Fall verlassen, sonst hätte mich die Polizei festnehmen können.“ Acht Monate blieb er in der Kirche.
Dort lernte er Katharina Mieskes von der Flüchtlingshilfe Neu-Isenburg kennen. Und Herrn Ludwig. „Sie waren sehr nett, waren immer bei mir.“ Sie besuchten ihn fast jeden Tag, brachten ihm Essen vorbei, lernten mit ihm Deutsch, besorgten ihm immer neue Bücher, spielten mit ihm Karten und erzählten Geschichten. „Viele, viele Menschen ha ben mich unterstützt“, sagt Moussa Mandou Cherif. „Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Sonst wäre ich verrückt geworden.“ Auch ein Flüchtling aus Afghanistan, der vorher im Kirchenasyl in Neu-Isenburg lebte, sei mit seinem Bruder immer vorbei gekommen.

Pflegekräfte gesucht
Die Zeit im Kirchenasyl nutzte er, um gegen die Ablehnung seines Asylantrags zu klagen. So erhielt er wenigstens eine Bescheinigung, dass er sich rechtmäßig für die Dauer des Asylverfahrens in Deutschland aufhalten darf. Außerdem kümmerte er sich darum, dass sein Abiturzeugnis aus Guinea hier anerkannt wird. Und lernte so gut Deutsch, dass er direkt die B1-Prüfung bestand. Irgendwann brachte Katharina Mieskes ihm einen Artikel aus der Lokalzeitung mit, darin stand, dass die Krankenhäuser in Darmstadt händeringend Pflegekräfte suchen, auch für eine Ausbildung. „Wir haben uns beworben.“ Moussa Mandou Cherif bekam eine Zusage, zunächst für eine Ausbildung als Krankenpflegehelfer im Elisabethenstift.
Endlich verdiente er etwas Geld, konnte sich ein kleines Zimmer in einer WG leisten. Direkt danach begann er seine dreijährige Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpfleger. Doch immer lebte er in der Angst, nicht in Deutschland bleiben zu dürfen. „Diese Ungewissheit war schrecklich“, betont er. „Immer in Sorge. Immer warten, warten, warten.“ Wenn er an diese Zeit denkt, sei Lehrjahr kam die Mitteilung, dass sein Asylantrag ablehnt wurde. Doch jetzt konnte Moussa Mandou Cherif etwas vorweisen: Er konnte Zeugnisse vorlegen, verfügte über einen Ausbildungsvertrag, bezog keine Sozialleistungen und auch sein polizeiliches Führungszeugnis war tadellos. Damit erfüllte er alle Voraussetzungen, um nach dem Aufenthaltsgesetz einen Aufenthaltstitel zu erhalten.
Zum ersten Mal wieder nach Hause fliegen
Wieder verging ein Jahr, bis er im Frühjahr endlich seine Aufenthaltserlaubnis erhielt, nach Paragraf 25b, Absatz 1: Weil er schon lange in Deutschland lebt, gut integriert ist, deutsch spricht und sein Lebensunterhalt gesichert ist. Dieses Gefühl, sagt er, „war eines der schönsten überhaupt“. Vorher sei er oft hoffnungslos gewesen. „Es war schwer, sehr schwer.“ Als seine Mutter starb, konnte er nicht bei ihrer Beerdigung in Guinea dabei sein. Im diesem Herbst konnte er zum ersten Mal wieder nach Hause fliegen, zu seiner Familie und seinen Freunden. „Da waren so viele Emotionen“, berichtet er. „Glück, Freude, so viele Erinnerungen.“ In Darmstadt fühlt sich Moussa Mandou Cherif sehr wohl, findet hier innere Ruhe. Er hofft, dass er die deutsche Staatsangehörigkeit bekommt. Ob er nach seiner Ausbildung hier bleibt? „Ich weiß es nicht“, sagt der 28-Jährige. „Wann wird meine Reise enden?“
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