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„Die Haltung zählt“

Kathrin HedtkeSebastian Follert

So viele neue Kinder, die alle kein Deutsch sprechen und eine Flucht hinter sich ha­ben: Am Anfang waren viele Kitas etwas unsicher. Doch schnell stellte sich heraus, dass sich die Fachkräfte nur auf ihre Pro­fession und ihre Werte besinnen müssen. Ein Interview mit Sebastian Follert, pädagogische Fachberatung für die Arbeit mit Flüchtlingen in Kindertagesstät­ten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.

Etwa ein Drittel der geflüchteten Men­schen waren Kinder und Jugendliche, darunter auch viele im Kindergartenalter. Waren die Kitas darauf vorbereitet?

Nein. Rein rechnerisch hätte jede Kita lediglich Kinder aus ein oder zwei Familien aufnehmen müssen. Aber die Realität sah anders aus: In viele Einrichtungen kamen überhaupt keine geflüchteten Kinder, in andere dafür zehn bis fünfzehn auf einmal. Großen Zulauf gab es vor allem, wo sich eine Notunterkunft in der Nähe befand. Mit der Zeit sind die Familien dort jedoch ausge­zogen und haben anderswo eine Wohnung gefunden. Die Zahlen sind gleich geblieben, aber die Kinder wurden besser verteilt. Da­durch hat sich die Situation entspannt.

Wie wurden die Kinder in den Kitas auf­genommen?

Die Stimmung war schon so, dass sie herz­lich willkommen geheißen wurden. Trotzdem wurden den Familien am Anfang gewisse Vorurteile entgegengebracht. Oft wurde an­genommen, dass es sich um schwer trau­matisierte Menschen handelt, die aus einer fremden Kultur kommen und nicht wissen, was eine Kita überhaupt ist. Auch gab es Sorgen vor Kindeswohlgefährdungen – und, dass die Männer nicht mit den Erzieherinnen reden wollen. Die Unsicherheit war groß, wie sie damit umgehen sollten. Weil sie geglaubt haben, dass es so passieren wird. In der Realität hat sich meist alles schnell in Luft aufgelöst.

Was hat sich bewährt?

Mit Mitteln der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau haben wir eine Fach­beratung für Kitas eingerichtet. Ich habe die Einrichtungen besucht und mit den Fach­kräften vor Ort über ihre Sorgen gesprochen. In einem Fall hieß es zum Beispiel, dass eine Mutter vollverschleiert sei. Das hat viele Vorurteile hervorgerufen. Die Erzieher*innen waren unsicher, wie sie das den anderen Kindern erklären sollten. Es stellte sich her­aus, dass es noch gar keinen Kontakt zu der Familie gab – und die Frau in Wirklichkeit überhaupt keine Burka trug. Davon abgese­hen stellte sich die Frage: Wie geht die Kita sonst damit um, wenn es Vorbehalte oder Ängste gibt? Die Antwort: Wir reden darüber, stellen Fragen. Ja, genau so geht es.

Wie konnten Kitas die Herausforderung bewältigen?

Wichtig war, sich klar zu machen: Die Fach­kräfte sind Profis, sie verstehen ihr Hand­werk und verfügen über alle Skills, die es braucht. In erster Linie galt es, sich bewusst zu machen: Es geht um Kinder. Ja, sie spre­chen kein Deutsch, doch auch deutsch-mut­tersprachliche Kleinkinder sind noch dabei, die Sprache zu lernen. Damit können Erzie­her*innen gut umgehen. Auch hat geholfen, im Gespräch zu klären, dass die Kinder vor allem Sicherheit in den Kitas brauchen und feste Abläufe. So wie alle Kinder. Menschen willkommen zu heißen, egal, was sie mit­bringen, das ist superevangelisch. Zentral ist die Botschaft: Genau so wie du bist, bist du richtig – und gehörst hier hin.

Worauf kam es im Umgang mit den Eltern besonders an?

Das beste Mittel: Transparenz und Kommu­nikation. So wie immer. In meinem Heimatort wurde zum Beispiel auf dem Festplatz ein Zelt aufgestellt, in dem Geflüchtete unter­gebracht wurden. Von Anfang an wurde zu Treffen eingeladen und klar kommuni­ziert, wie lange das Zelt dort steht, wie die nächsten Schritte aussehen – und dass es bis zur Kirmes wieder abgebaut wird. Das hat gut funktioniert. In den Kitas genau­so. Zum Beispiel wenn Einrichtungen offen dargelegt haben, in welcher Reihenfolge die Plätze vergeben geben. So konnten sie dem Vorwurf vorbeugen, dass Kinder aus Flücht­lingsfamilien bevorzugt würden. Bewährt haben sich auch Informationsabende für Eltern. Die allerbeste Maßnahme ist jedoch, Menschen miteinander in Kontakt zu brin­gen. Zum Beispiel bei einem regelmäßigen Elternfrühstück. Viele Kitas haben dieses Angebot beibehalten.

Wie haben sich die Einrichtungen da­durch verändert?

Ich denke, die Erfahrung hat die Kitas wirk­lich weitergebracht. Sie haben erlebt, dass sie handlungsfähig sind. Und nur auf ihre Werte und Profession achten müssen. Am Ende geht es viel weniger darum, fertige Konzepte in der Schublade zu haben, als um eine Haltung, nach dem Motto: „Wir wissen nicht, wie es geht, aber wir schaffen das ge­meinsam.“ Viele Kitas sind sehr gestärkt aus der vermeintlichen Krise hervorgegangen und jetzt viel besser aufgestellt. Vor allem was ihre Haltung betrifft. Das können wir in diesen Zeiten sehr gut gebrauchen.

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