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„Alles richtig gemacht“

privatRonald Uhlich

Zusammen kicken: Der Mainzer Fußball­verein FC Ente Bagdad ist auf junge Men­schen in Flüchtlingsunterkünften zuge­gangen – und hat viel zurückbekommen. Im Interview: Ronald Uhlich, ehrenamtlicher Fußballtrainer und Geschäfts­führer beim Fußballligaclub „SV Vitesse Mayence“ sowie Präsident des dazugehörigen Hobbyfuß­ballvereins „FC Ente Bagdad“ in Mainz.

Bei euch im Hobbyfußballverein in Mainz spielen viele Kinder und Jugendliche mit Fluchtgeschichte. Wie seid ihr auf die jungen Menschen zugegangen?

Unser Verein war schon immer stolz darauf, dass Leute aus anderen Ländern bei uns spielen. Internationalität begeistert uns. Schon ein Jahr vor dem Sommer 2015 tröpfelten die ersten Geflüchteten bei uns ein. Unsere Idee war, auf die jungen Er­wachsenen aus Syrien, Afghanistan und egal woher zuzugehen. Sie leben in Unterkünften unter schlechten Bedingungen, ohne Kon­takt zur Bevölkerung, ohne Abwechslung. Deshalb sind wir in die Flüchtlingsheime gegangen und haben unseren Fußballverein vorgestellt.

Wie haben die Leute euer Angebot ange­nommen?

Sehr gut. Fußball ist der ideale Sport, um Menschen zusammenzubringen. Es gibt so gut wie niemanden, der noch nie gegen einen Ball gekickt hat. Die Chance ist groß, die Menschen damit zu begeistern. Unser großer Vorteil war, dass Trainer aus unserem Verein verschiedene Sprachen können, ein Kollege aus Algerien spricht arabisch, ein anderer französisch. Dadurch fiel der Ein­stieg leichter. Aber wir haben uns auch viel mit Händen und Füßen verständigt.

Wie groß war das Interesse?

Die ersten fünf, sechs Leute sind direkt mit zum Fußballplatz gekommen. Schnell wurde es richtig voll bei uns. Beim ersten Mal sind wir extra in die Unterkünfte gefahren und haben die Jungs mit Autos abgeholt. Das nächste Mal sind wir mit ihnen zusammen mit dem Bus gefahren. Und beim dritten Mal konnten sie alleine zum Sportplatz kommen. Das hat richtig gut geklappt. So konnten wir erste Brücken für die Menschen bauen.

Wo gab es Hürden?

Schwierig war eigentlich nur, unsere festen Zeiten auf dem Fußballplatz zu bekommen. Natürlich waren wir nicht auf alles vorbe­reitet, wir sind ins kalte Wasser gesprungen und haben uns supergut freigeschwommen. Zuerst haben wir nur mit jungen Erwachse­nen ab 16 Jahren trainiert, vor allem mit un­begleiteten minderjährigen Flüchtlingen ohne Familie. Ab 2015 haben wir auch Jugend­liche einbezogen. Und nach dem Angriff auf die Ukraine standen hier plötzlich viele Mütter mit kleinen Kindern auf dem Fußball­platz. Seitdem trainieren wir auch Kinder. Sie waren ganz neu hier. Wir haben sie sofort aufgenommen, bei uns gibt es keine Warte­listen. Mit Englisch war es schwierig, zum Glück konnte eine Mutter etwas übersetzen.

Was habt ihr als Verein davon?

Wir machen die Arbeit ehrenamtlich, wol­len damit Menschen aus anderen Ländern helfen, die es sonst schwer in Deutschland haben. Unser Ziel dahinter war nie, den Verein zu retten – oder Fußballkader auszu­bilden und den Ligabetrieb voranzubringen. Aber das hat sich automatisch so ergeben. Der Ligafußballverein Vitesse Mayence war ursprünglich ein Studierendenverein und mit der Zeit wurden die Reihen immer dünner.

Die Geflüchteten haben dazu beigetragen, die Lücken wieder zu schließen. Wir vom FC Ente Bagdad haben von unten viel Aufbau­arbeit geleistet. Wir haben immer vor der Ligamannschaft trainiert, die Trainer haben unsere Jugendlichen beim Spielen gesehen und angesprochen. Fast 80 Prozent der Spieler des Ligavereins kommen inzwischen aus unseren Reihen. Nur ihnen ist zu ver­danken, dass der Fußballclub überhaupt noch existiert. Andere der Jugendlichen haben eine Trainerausbildung gemacht und trainieren jetzt selbst Kids. Das ist großes Glück.

Was macht die Arbeit mit euch?

Wir sind 24 Stunden am Tag für jeden an­sprechbar, helfen auch dabei, eine Ausbil­dung zu finden oder begleiten zu Behörden. Das ist auch für uns total bereichernd. Die jungen Leute sind total offen. Wir bekom­men richtig viel zurück, werden oft von den Familien zum Essen eingeladen, haben schon so viel zusammen gefeiert – wir wussten vorher gar nicht, was es alles für Feste in anderen Kulturen gibt. Das ist toll zu erleben. Auch ist es ein richtig gutes Gefühl, die Jugendlichen von Anfang an zu begleiten und zu sehen, wie sie sich entwickeln. Wenn ich sehe, dass sie jetzt perfekt deutsch spre­chen, in der Schule gut klarkommen, eine Ausbildung machen, dann weiß ich: alles richtig gemacht!

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